Teil 10: Wohnraumversorgung - Unser „Neschtle“ oder die Transformation im Tun
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Wohnraumversorgung
- Teil 1: Wohnraumversorgung – Hintergründe und Zusammenhänge
- Teil 2: Wohnraumversorgung - Klimaverträgliches Bauen
- Teil 3: Wohnraumversorgung - Was können natürliche Baustoffe bewirken?
- Teil 4: Wohnraumversorgung - Das Prinzip „Lego“: Rezyklierbarkeit und Kreislaufwirtschaft
- Teil 5: Wohnraumversorgung - Wohnfläche und Suffizienz – Wie viel ist genug?
- Teil 6: Wohnraumversorgung - Wo Märkte sinnvoll sind (und wo nicht)
- Teil 7: Wohnraumversorgung - Wohnungspolitische Instrumente und Eigentumsverhältnisse in Deutschland
- Teil 8: Wohnraumversorgung - Warum wir einen umfassenden kulturellen Wandel benötigen
- Teil 9: Wohnraumversorgung - Warum Wohnraum immer auch emotional ist
- Teil 10: Wohnraumversorgung - Unser „Neschtle“ oder die Transformation im Tun
Veränderung gelingt, wenn das Neue nützlicher, angenehmer und erst zuletzt ökologisch besser ist als das Alte. In diesem Sinne: Neue Helden braucht das Land und neue Visionen auch!
Vom Müssen zum Wollen
Mittlerweile wissen wir, dass über Verbots- und Verzichts-Schlagzeilen weder Wählerstimmen noch Veränderungen erzielt werden. Wie kann Wohnwende so gelingen, dass sie ein Lebensgefühl mitliefert, das Menschen begeistert und mitzieht? Dass sie eine lebens- und liebenswerte Alternative aufzeigt und dadurch vielleicht ein Sehnsuchtsort werden kann? Was der „Fahrrad-Stadt“ Kopenhagen gelungen ist – Mobilitätswende vom Auto zum Fahrrad durch das Schaffen vielfältiger Nutzenaspekte – wäre doch auch für die Wohnwende denkbar. Wir haben uns getraut, mehrere Komponenten der Wohnungsthematik ganzheitlich zu denken und ein Wohnangebot zu schaffen, dass möglichst vielen Problemstellungen mit einem einzigen Gebäude Lösungen anbietet.
Tiny Houses als erster Suffizienz-Trend
Es wurde klar, dass es einen Wertewandel zum Thema Wohnen braucht – zum einen, um mit einer guten Versorgung aller den sozialen Frieden zu wahren. Zum anderen müssen wir in Bezug auf unsere planetaren Grenzen das Bauen an sich anders denken. In der Tiny House Bewegung findet das Verständnis dafür nicht nur eine ideelle Heimat, sondern praktische Anwendung. Dennoch ist ein Volumen von 500 Tiny Houses1 im Jahr angesichts der großen Versorgungslücke zu wenig. Es bleibt zudem die Einschränkung, dass ein einziges Tiny House nur eine bisherige Bestandsimmobilie wieder verfügbar macht oder aber ein einziges Tiny House als Wohnfläche hinzukommt. Es braucht eine Vervielfachung dieses Effekts, der sich auf viele verschiedene Baugebiete anpassen lässt.
Wo kann weniger Fläche ein Mehrwert sein?
Wenn wir also das Szenario Tiny House näher anschauen, dann ist der Ort des Geschehens die Einfamilienhaus-Siedlung oder die städtische Nachverdichtung. Gerade im Bereich der Einfamilienhäuser kann die Flächennutzung pro Kopf je nach Altersstruktur der Siedlung besonders hoch ausfallen. So haben nach Meldung des Statistischen Bundesamtes Menschen, die ab 65 Jahre im Wohneigentum leben, im Schnitt 78,1 m² zur Verfügung. 2
Hier gibt es also das größte Potenzial, Wohnraum für eine bessere allgemeine Wohnraumversorgung zu generieren und auch die größte Chance, dies im Rahmen einer freiwilligen Veränderung zu erreichen. Denn in den oft nicht altersgerechten Häusern mit Waschküche im Keller, vielen Treppen, Badewannen ohne Einstiegshilfen und den zu schmalen Türen beißen sich Wohnbedarf und Wohnbedürfnis (vgl. „Bedarf ist nicht gleich Bedürfnis“) besonders stark.
Neben dem Aufwand für Reinigung und Pflege können jederzeit Instandsetzungsmaßnahmen nötig werden, die die oft älteren Eigentümerinnen und Eigentümer überfordern können. Daraus folgt, dass nicht nur die Fläche an sich, sondern auch die Eigentumsverantwortung als Last wahrgenommen werden können. Wenn also hochwertiger Wohnraum entstünde, der weniger, aber bedarfsgerechte Wohnfläche anbietet und gleichzeitig von der Eigentumsverantwortung entlastet, könnte eine Umverteilung von Wohnfläche zu Gunsten aller Beteiligten gelingen. Für eine so große Veränderung braucht es dann allerdings noch weitere Nutzenfaktoren, um die Hürden eines Umzugs im Alter zu überwinden.
Ein Nutzen kommt selten allein – unser Pfrondorfer „Neschtle“
Unser Modellprojekt des Pfrondorfer „Neschtles“ nimmt die Einfamilienhaus-Siedlung der 70iger Jahre in den Blick und fragt auf planerischer, sozialer und ökologischer Ebene nach der größtmöglichen Wirkung und dem größtmöglichen Nutzen, den ein Gebäude in diesem Kontext bringen kann (hier ein Video-Vortrag dazu). Damit wollen wir den Tiny House-Effekt verstärken: Indem wir mehr Wohneinheiten bauen – in unserem „Neschtle“ entstehen nun 8 Appartements – erweitern wir das Potenzial, so genannten „unsichtbaren Wohnraum“ in der Umgebung freizumachen.
Dabei achten wir auf suffiziente Grundrisse und bauen so klimaverträglich wie möglich: Die individuelle Wohnfläche liegt bei etwas mehr als 40 m² pro Person. So werden beim Bau und beim Betrieb gleichermaßen Ressourcen gespart, da weniger Baustoffe und - vor allem - dauerhaft im Betrieb weniger Energie (und natürlich auch Kosten) für die Beheizung benötigt werden. Für den Neubau nutzen wir die bereits versiegelte Fläche der Erstbebauung des Grundstücks. Wir haben uns zudem für eine modulare Bauweise aus Massivholz entschieden, um die Umweltbelastung durch Beton und so auch den CO2-Ausstoß und die graue Energie zu minimieren.
Nicht nur ökologisch, sondern auch sozial nachhaltig
Wie wir aber aus der Mobilitätswende in Kopenhagen gelernt haben, sind es jedoch nur selten die Umweltaspekte, die den einzelnen Menschen zu einer Veränderung bewegen. Deswegen haben wir unser „Neschtle“ von Anfang an auch aus der sozialen Perspektive geplant. Obwohl die einzelnen Wohneinheiten komplett ausgestattet und als individueller Rückzugsort gedacht sind, handelt es sich um ein gemeinschaftliches Wohnprojekt. Es gibt neben den Küchen in den einzelnen Appartements eine große, gut ausgestatte Gemeinschaftsküche, einen Garten, den die Bewohnerschaft selbst pflegt und im Keller noch Räumlichkeiten, die ganz nach Wunsch als Atelier, Sportraum oder Werkstatt eingerichtet werden können.
Zum einen gilt es, der zunehmenden Vereinsamung im Alter etwas entgegenzusetzen, zum anderen ist ein soziales Netzwerk in der unmittelbaren Umgebung immens wichtig für den Kompetenzerhalt im Alter. Unser Modellprojekt bietet beides, da gezielt Räume geschaffen werden, in denen sozialer Kontakt und gemeinsame Aktivitäten möglich sind. Das bedeutet aber nicht, dass bereits bestehende Kontakte aus dem Wohnumfeld wegbrechen. Gerade durch ein neues „Neschtle“ unmittelbar neben der Einfamilienhaussiedlung können Seniorinnen und Senioren in der vertrauten Umgebung verbleiben.
Wohin mit dem Eigenheim?
Im Pfrondorfer „Neschtle“ entstehen barrierefreie Mietwohnungen, mit dem Ziel altersgerechtes Wohnen anzubieten und den großen Wohnraum im Bestand besser nutzbar zu machen. Da stellt sich die Frage, was mit dem dann freiwerdenden Wohneigentum geschehen soll. Für die Nutzbarmachung des Wohnraums ist es egal, ob vermietet oder verkauft wird - für den Besitzer oder die Besitzerin ist das aber eine ganz zentrale Frage. Die Frage nach möglichen Interessen von Erben, dem aktuellen Immobilienmarkt oder auch nach der Verantwortung und dem Aufwand einer Vermietung sind keine Kleinigkeit. Zudem ist nicht jede Person mit Wohneigentum auch vermögend genug, um Miete zu zahlen.
Unsere Lösung für diese Fragen besteht in dem Angebot, dass die nestbau AG das bestehende Eigenheim anmietet und auf diese Weise die Eigentümer von der Mietverwaltung entlastet.
Fußnoten
- Information des Tiny House Verbandes Deutschland (2023) zurück nach oben
- Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes zum Wohnraum ab 65 Jahren (Juli 2023) zurück nach oben