Teil 8: Wohnraumversorgung - Warum wir einen umfassenden kulturellen Wandel benötigen
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Wohnraumversorgung
- Teil 1: Wohnraumversorgung – Hintergründe und Zusammenhänge
- Teil 2: Wohnraumversorgung - Klimaverträgliches Bauen
- Teil 3: Wohnraumversorgung - Was können natürliche Baustoffe bewirken?
- Teil 4: Wohnraumversorgung - Das Prinzip „Lego“: Rezyklierbarkeit und Kreislaufwirtschaft
- Teil 5: Wohnraumversorgung - Wohnfläche und Suffizienz – Wie viel ist genug?
- Teil 6: Wohnraumversorgung - Wo Märkte sinnvoll sind (und wo nicht)
- Teil 7: Wohnraumversorgung - Wohnungspolitische Instrumente und Eigentumsverhältnisse in Deutschland
- Teil 8: Wohnraumversorgung - Warum wir einen umfassenden kulturellen Wandel benötigen
- Teil 9: Wohnraumversorgung - Warum Wohnraum immer auch emotional ist
- Teil 10: Wohnraumversorgung - Unser „Neschtle“ oder die Transformation im Tun
Jede Entwicklung in der Gesellschaft wird von ihren dominierenden Werten und Überzeugungen beeinflusst. Diese sind - wie wir immer stärker erfahren - jedoch wandelbar und können und müssen regelmäßig gemeinsam neu verhandelt werden.
Welche Werte sind noch wertvoll?
Leider ist es immer noch überwiegend das Eigenheim im Grünen und das PS-starke Auto, welches sich im westlichen Nachkriegsdeutschland als Inbegriff der Vorstellung des guten Lebens, von Erfolg und als Statussymbol in den kulturellen Leitbildern durchgesetzt hat. Gesellschaftlich sind wir jedoch an einem Punkt angekommen, an dem wir den Nutzen dieser Leitbilder hinterfragen und hinterfragen müssen.
Wenn wir eine ökosoziale Transformation im Wohnsektor anstreben, brauchen wir einen umfassenden kulturellen Wandel. Hier ein paar Zahlen und Fakten zum Einordnen: Zwischen 1991 und 2017 stieg die Bevölkerungszahl um 3,5%, die Anzahl der Haushalte jedoch um 17%. Entsprechend hat der Wohnflächenkonsum in den letzten Dekaden stark zugenommen1. Mit steigendem Wohlstand haben sich die Lebensstile und die sozialen Strukturen gewandelt. Hierbei spielen Individualisierungstrends und das Alter der Personen in einem Haushalt eine wichtige Rolle. Aus dieser historischen Entwicklung ergibt sich eine andere Zahl:
Würden wir heute noch auf dem Wohnungsniveau der frühen 1960er Jahren leben, hätten wir in Deutschland Platz für 200 Mio. Menschen.
Die besagten Zahlen zeigen deutlich, dass wir mit unseren heutigen Wertevorstellungen nicht einmal das wenig ambitionierte Ziel, pro Tag nur noch 30 Hektar an Fläche zu versiegeln (momentan sind es 54 Hektar) erreichen werden.
Es muss in der Gesellschaft ein Umdenken passieren, wenn wir auch perspektivisch gut zusammenleben wollen. Klima- und Verteilungskrisen setzen unseren Aktivitäten absehbar immer deutlichere Grenzen. Das führt dazu, dass eine immer wackeligere Grundversorgung im Bereich Wohnen für die breite Masse unseren sozialen Frieden bedroht. Vernünftig wäre es, Generationen- und Erdsystemverantwortung zu übernehmen und sich Werten zu verpflichten, die uns ins 22. Jahrhundert tragen. Wir als Gesellschaft entscheiden kollektiv, was wertvoll ist, wofür es Anerkennung gibt und was verpönt ist. Die vielfältigen Krisen sind also die Chance auf einen Wandel und eine Grenze ist immer auch die Möglichkeit zur Innovation und zum Wachstum in die Vielfalt - statt immer mehr vom Gleichen zu generieren.2
Wie gelingt ein ressourcenschonendes Leben mit gleichem Komfort?
Aus der Geschichte lernend, findet ein erfolgreicher kultureller Wandel von unten statt, um ihn dann in die Politik zu tragen und um umfassende Instrumente und Rahmenbedingungen schaffen zu können. So die Theorie, die Praxis ist wie immer ein wenig komplexer.
Das Gute ist: Es gibt Lösungsansätze, wir müssen sie nur laut genug kommunizieren. Damit „weniger“ genug werden kann, braucht es eine aktive Gestaltung. Eine gute Suffizienzpolitik bedeutet immer eine Umverteilung von Zugang z.B. zu Wohnraum oder im Verkehr. Und das sorgt für Kontroverse. Daraus folgt, dass Suffizienzpolitik nur gestaltet werden kann, wenn die Bürgerinnen und Bürger sich aktiv dafür entscheiden.
Zum Veranschaulichen ein weiteres Beispiel: Ein städtebauliches Leitbild, das uns in die Zukunft bringt, ist die dreifache Innenentwicklung der Stadt. Es wird künftig ein Ringen um Fläche und Raum geben, da diese Ressourcen natürlich begrenzt sind. Die sogenannte dreifache Innenentwicklung ist als Antwort auf die Herausforderungen und Ziele nachhaltiger Stadtentwicklung zu sehen.3 Die Urbanisierung entwickelt sich weiter und die Gestaltung einer lebenswerten Stadt für alle wird anspruchsvoller.
Es geht um neue Flächenstrukturen und die Verhandlung von Zugängen, um eine gerechte und nachhaltige Stadt zu kreieren. Dürfen die Autos vor der Türe mehr Platz in Anspruch nehmen als die eigenen Kinder für ihr Zimmer? Wollen wir Grün- und Freiflächen für einige wenige oder für alle? Und ist es vielleicht doch nicht so schlimm, ein viergeschossiges Haus neben eine 1970er- Jahre-Einfamilienhaus-Siedlung zu setzen, um hier ein kompaktes Wohnen zu ermöglichen?
Das sind Fragen, auf die wir Antworten brauchen und dabei hoffentlich auf der richtigen Seite der Geschichte stehen. Wir haben die Möglichkeit kulturelle Leitbilder zu gestalten und inhaltlich zu rahmen - auch im privaten Raum.
Fußnoten
- Stephan L. Thomsen; Vogt Daniel; Brausewetter Lars. (2019): Wohnungsmarkt und Wohnungspolitik in Deutschland: Situation und Optionen. Hannover.zurück nach oben
- Anders Levermann: Die Faltung der Welt. Wie die Wissenschaft helfen kann, dem Wachstumsdilemma und der Klimakrise zu entkommenzurück nach oben
- Umweltbundesamt: Dreifache Innenentwicklung Definition, Aufgaben und Chancen für eine umweltorientierte Stadtentwicklung (2023) zurück nach oben