Bauen fürs Klima?! - Veranstaltung mit Prof. Dr. H. J. Schellnhuber in Tübingen
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Am 26.10.2023 hatten die Stadt Tübingen, die Hochschule Rottenburg und die Firma ebök unter dem Titel "Bauen und Wohnen in Zeiten des Klimawandels" eingeladen. Prominenter Gast war Prof. Dr. Hans Joachim Schellnhuber, Gründer des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung.
Klimaveränderung schon 2030 bedrohlich
In seinem Vortrag machte Herr Schellnhuber zunächst unmissverständlich die katastrophalen Auswirkungen einer Erderwärmung von über 2°C deutlich. Gemäß einer aktuellen Studie unter der Leitung von Tim Lenton von der Universität Exeter würde eine Erderwärmung von 2,7 C° (darauf läuft die aktuelle Klimapolitik hinaus) dazu führen, dass große Teile der Erde bereits 2030 (!) eine jährliche Durchschnittstemperatur von über 29°C aufweisen und damit für Menschen kaum mehr bewohnbar sind. In den betroffenen Regionen leben knapp 2 Milliarden Menschen! Eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5°C könnte diese Zahl um 80% auf 400 Millionen senken. (Eine Zusammenfassung der Studie veröffentlichte die englische Zeitung "The Guardian" im Mai diesen Jahres.)
Gebäude als CO2-Speicher
Die Einhaltung des 1,5°C Ziels wird jedoch immer unwahrscheinlicher. Dennoch machte Herr Schellnhuber im zweiten Teil seines Vortrags Hoffnung. Ausgerechnet Gebäude, bis heute für einen Großteil der klimaschädlichen Treibhausgase verantwortlich, könnten die Erde vor dem Klimakollaps bewahren. Im Gegensatz zum Verkehr sei laut Schellnhuber eine klimapositive Gebäudewirtschaft, welche langfristig der Atmosphäre CO2 entzieht, möglich. Hierzu müsse es gelingen die "gebaute Umwelt" in den nächsten Jahrzehnten überwiegend auf organische Baumaterialien wie Holz oder Bambus umzustellen und dabei gleichzeitig den globalen Waldbestand zu erhöhen bzw. mindestens zu erhalten. Auf diese Weise können Gebäude zu einer riesigen, globalen Kohlenstoffsenke werden. Schellnhuber nennt diese Idee "Wald-Bau-Pumpe". Sie besteht im Wesentlichen aus drei Schritten:
- Über Fotosynthese wird CO2 während des Wachstums der Pflanze (Baum oder Bambusstaude) aus der Atmosphäre gefiltert.
- Das geschlagene Nutzholz wird in Gebäuden verbaut.
- Das CO2 bleibt dort langfristig gebunden.
Damit dies tatsächlich funktioniert, ist es entscheidend, dass das geschlagene Holz (im Sinne einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung) direkt neu gepflanzt wird sowie, dass die verbauten Holzteile lange im Bestand bleiben und nicht nach wenigen Jahrzehnten bereits verbrannt werden.
Erhalt des Waldbestands und Wiederverwendung der Bauteile
So unglaublich das klingt - unter den richtigen Voraussetzungen kann ein Neubau also tatsächlich klimafreundlicher sein als nicht zu bauen. In der Praxis sind die genannten Voraussetzungen jedoch keineswegs simpel. Damit Herrn Schellnhubers Idee global funktioniert, muss es auch bei steigender Holznachfrage gelingen, eine Abholzung der Wälder zu verhindern. Gleichzeitig muss einmal geerntetes Holz so lange wie möglich als Werksstoff genutzt werden. Eine Verbrennung zur Energiegewinnung darf erst nach mehrfacher Wiederverwendung, im Idealfall nach mehreren Jahrhunderten (!), in Betracht kommen, da diese das gebundene CO2 wieder frei setzt. Zudem müssen weiterhin Sekundäreffekte des Bauens, wie z.B. der Energieverbrauch des Baus, die Flächenversiegelung, die Energieversorgung des Gebäudes und die ausgelöste Mobilität beachtet werden. Holz ist also nicht per se nachhaltig, es kommt darauf an!
Bauwende nach Schellnhuber: nestbau AG in den Startlöchern
Die Praxis des Bauens ist leider noch sehr weit von diesen Voraussetzungen entfernt. Noch immer werden Gebäude überwiegend aus Stahl und Beton errichtet, wodurch die Bauwirtschaft zum Klimakiller wird. Und auch viele Holzbauten sind noch weit davon entfernt klimapositiv zu sein. Die Energie für den Bau stammt nach wie vor überwiegend aus fossilen Brennstoffen und insbesondere die Wiederverwendbarkeit der Baumaterialen steckt noch in den Kinderschuhen. Trotz der beängstigenden Prognosen von Herrn Schellnhuber, freut es uns, dass wir mit unserem aktuellen Projekt dem Pfrondorfer Neschtle auf dem richtigen Weg zu sein scheinen. Das Gebäude besteht überwiegend aus Holz, welches aus regionalen und nachhaltig bewirtschafteten Wäldern stammt (Schwarzwald). Es entsteht auf einem Grundstück, das vorher schon bebaut war, so dass keine neue Fläche versiegelt wird. Durch eine Solarthermieanlage mit großem Pufferspeicher basiert die Energieversorgung überwiegend auf Sonnenenergie. Für die Zukunft zeigt uns der Vortrag von Herrn Schellnhuber, dass wir uns noch stärker mit der Wiederverwendbarkeit von Baumaterialien beschäftigen müssen. Wir werden für das Neschtle in Pfrondorf eine CO2-Bilanz erstellen und hierbei auch umfassende Informationen zu diesem Thema sammeln.
Die gesamte Präsentation von Herrn Schellnhuber steht auf der Homepage der Stadt Tübingen zum Download zur Verfügung.