Wohnen auf Höhe der Zeit – Das „Neschtle“ in Pfrondorf
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Wie schaffen wir es, Zielkonflikte zwischen Wohnraumversorgung und Klimaschutz im Bausektor ganzheitlich zu betrachten und zu lösen? Wie schaffen wir es, dem rein quantitativen Wohnraummangel zu begegnen, wenn bauen, bauen, bauen im Sinne des Klimaschutzes nicht unsere Lösung sein kann? Das sind die wichtigen Fragen, die es gesamtgesellschaftlich und politisch zu beantworten gilt, um die soziale und ökologische Transformation im Bausektor anzugehen.
In Bezug auf die Klimakrise reicht es also nicht aus, beim Thema Wohnen Akzente zu setzen, wir benötigen auf struktureller Ebene eine Lösung. Wenn die Pro-Kopf-Wohnfläche in Deutschland kontinuierlich zunimmt, aber gleichzeitig immer ungleicher verteilt wird, können wir der sozialen Wohnraumkrise nicht mit der Strategie des Bauens begegnen. Ein „weiter so“ kann also allein schon aus Klimaschutzgründen nicht funktionieren.
Was also tun?
Der Zusammenhang zwischen Wohnen und Klima ist noch nicht im gesellschaftlichen Diskurs angekommen, anders als etwa das Mobilitätsverhalten oder die Ernährung. Dabei ist die Wohnraumversorgung einer der großen Einflussfaktoren, was den CO₂-Ausstoß anbelangt. Der demografische Wandel hin zum Einpersonenhaushalt sowie der Remanenzeffekt, der beschreibt, dass Menschen nach dem Auszug von Haushaltsmitgliedern in nun eigentlich zu großen Wohnungen weiterwohnen, führt zu steigender Wohnfläche pro Person.
Nun gibt es sowohl von Seiten der Politik als auch von Seiten der Wissenschaft Initiativen und Anregungen zu einem Wohnungstausch.
Wie schaffen wir eine nachhaltige Wohnraumversorgung?
Unser Flächenbewusstsein erfordert einen kulturellen Wandel. Darüber hinaus braucht es aber vor allem Anreize für einen freiwilligen Umzug, um die Wohnraumversorgung gerechter zu gestalten. Dafür muss aber zunächst ein Alternativangebot an Wohnraum für Seniorinnen und Senioren vorhanden sein, das nicht nur finanzierbar, sondern im Idealfall auch deutlich attraktiver ist als das Verbleiben im Bestand (zum Beispiel durch Barrierefreiheit). Das ist ein nicht zu unterschätzender Bereich im Bestandswohnen, bei dem man strukturell ansetzen kann, um eine Transformation im Wohnsektor zu erreichen.
Ein Modell-Projekt für zukünftiges Wohnen – Unser „Neschtle“ in Pfrondorf
Wir bauen unser „Neschtle“ mit suffizienten und barrierefreien Grundrissen. Wir fragen also wirklich: Wieviel Wohnraum ist genug?!
Zu Beginn unserer Planung haben wir zusammen mit den Studierenden des KIT in Karlsruhe eine Bedarfsanalyse mit Seniorinnen und Senioren aus Pfrondorf durchgeführt. Welche Impulse braucht es, damit sich Senior:innen einen Umzug aus ihrem zu groß gewordenem Zuhause vorstellen können?
Die Antwort ist ein barrierefreies Haus, welches Platz und Raum für einen Rückzugsbereich hat, aber auch Gemeinschaftsräume bietet, die ein Wir-Gefühl entstehen lassen. Das „Neschtle“ bietet Wohnraum, der die gegenseitige Unterstützung der Bewohnenden ermöglicht und fördert. So hat dieses Modell-Projekt in Pfrondorf auch eine Antwort auf den demografischen Wandel. Denn wir brauchen in einer alternden Gesellschaft – bei zugleich individueller gewordenen Familien- und Lebenssituationen – neue Versorgungskonzepte, um den Fachkräftemangel in Pflege und Betreuung zu kompensieren. So können beispielsweise verbindlichere Nachbarschaften und Wohngemeinschaften dazu beitragen, länger selbstbestimmt außerhalb einer betreuten Wohnsituation zu leben.
Ein Haus mit vielen Auswirkungen
Die Idee des „Neschtles“ ist die eines Haustausches mit erhöhtem Wirkungsgrad und gegenseitigem Nutzen. Wir setzen den in den Medien viel zitierten „Haustausch“ real um, verbessern die Wohnsituation aller Beteiligten und optimieren gleichzeitig den Wohnflächenverbrauch im Neubau und im Altbestand. Wir bewirken mit dem Bau eines neuen Quadratmeters Wohnfläche, dass im Bestand mindestens zwei Quadratmeter Wohnfläche frei werden und zur besseren Wohnraumversorgung zur Verfügung stehen.
Senior:innen haben in Deutschland deutlich mehr Wohnraum zur Verfügung als jüngere Generationen. Haushalte, in denen die Haupteinkommensbezieher mindestens 65 Jahre alt waren, nutzten im vergangenen Jahr pro Person durchschnittlich 68,5 Quadratmeter Wohnfläche, wie das Statistische Bundesamt im Juni 2023 mitteilte. In unserem „Neschtle“ liegt die durchschnittliche Wohnfläche pro Person bei 44,5 Quadratmetern. Wir wollen mit flächeneffizienten Wohnungsgrundrissen und dem gemeinschaftlichen Wohnmodell der begrenzten Verfügbarkeit von Boden begegnen.
Zusätzlich ermöglicht suffizientes Bauen bei zugleich hoher Wohnqualität eine ganzheitliche Klimastrategie im Bausektor. Denn um das EU-Ziel des klimaneutralen Europas bis 2050 zu erreichen, muss der Ressourcenverbrauch im Gebäudesektor deutlich reduziert werden. Dies ist eine gewaltige Herausforderung, die schon in naher Zukunft einen Wandel erfordert. Um diese Herausforderung anzugehen, brauchen wir neben der Bauwende vor allem eine Wohnwende. Suffizientes Wohnen, also die Frage, „wie viel Wohnraum benötige ich wirklich“, und echte Anreize für eine Wohnraumoptimierung spielen hierbei die entscheidende Rolle.