Zukunft der Stadt führt über neue Konzepte im Mietwohnungsbau
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Am 30. November 2011 fand im Haus Rothenburg, Schloßbergstr. 23 in Tübingen, das erste nestbau-Kamingespräch statt: Dr. Gerd Kuhn vom Fachgebiet Architektur- und Wohnsoziologie an der Uni Stuttgart gab eine Einführung zum Thema „Zurück in die Stadt?! Die Zukunft der Stadtgesellschaft“.
Stadtsoziologe Dr. Gerd Kuhn beim Kamingespräch der nestbau
Tübingen. Was passiert eigentlich in der Stadt – und was passiert in der Vorstadt? Wer kann sich ein Leben in attraktiven Ballungszentren leisten und welche Miet- und Wohnformen sind denkbar? Fragen wie diese untersucht Dr. Gerd Kuhn vom Fachgebiet Architektur- und Wohnsoziologie an der Universität Stuttgart. Am Mittwoch, 30. November, diskutierte er auf Einladung der nestbau – n.e.s.t. Bauprojektierung und Vermietung AG mit Gästen neue Wohnformen und Konzepte für die Stadtentwicklung. Dies bildete zugleich den Auftakt einer Reihe von Kamingesprächen zum Thema „Wohnen“, zu der nestbau künftig in loser Folge bittet. Ziel ist es, ins Gespräch zu kommen, Ideen zu entwickeln und auch Raum für Visionen zum Zusammenleben zu entwickeln, so nestbau-Vorstand Gunnar Laufer-Stark in seiner Begrüßung.
Eine soziale Durchmischung muss auch in nachgefragten urbanen Zentren möglich sein, hier waren sich die Gäste im Haus Rothenburg in Tübingen einig. Die engagierte Diskussion zeigte: An Ideen für einen zeitgemäßen Mietwohnungsbau der sozial, ethisch und ökologisch orientiert ist, fehlt es nicht. Gefragt sind unter anderem alternative Finanzierungs- und Eigentumsmodelle. Ferner lohne es über die Auflösung des klassischen Stockwerkeigentums nachzudenken und über Mietwohnungsbau mit Eigentumsbeteiligung. Denn, je nach Lebensphase sind unterschiedliche Wohnformen gewünscht und nötig. Alternative Konzepte bietet beispielsweise das Cluster-Wohnen wie es vor allem in der Schweiz praktiziert wird. Hier leben Menschen, Freunde oder verschiedene Generationen unter einem Dach und zu Lasten individueller Einzelflächen werden große Gemeinschaftsräume geschaffen.
Der Wunsch von Stadtsoziologe Kuhn: neue Konzepte im Mietwohnungsbau. Noch bis in die Mitte der 50er Jahre sei in Deutschland privates Stockwerkeigentum gesetzlich verboten gewesen. Folglich wohnten die Stadtbewohner üblicherweise zur Miete. Bis heute seien die Nachwirkungen dieser Praxis zu spüren: beispielsweise stehe Deutschland bei der Wohneigentumsquote in Europa an vorletzter Stelle – knapp vor der Schweiz.
Dramatische Veränderungen machte der Forscher in einer Veränderung der Lebensstile fest: bildeten früher die Ein- bis Zwei-Personen-Haushalte einen Anteil von 44 Prozent, so liege dieser 2010 bereits bei 71 Prozent für Baden-Württemberg. Dadurch verändere sich auch der Wohnmarkt in den Städten. Die Belegung von Sozialwohnungen habe sich halbiert, für einkommensschwache Haushalte, aber auch junge Familien stehe immer seltener Raum zur Verfügung. Zeitgleich gehe der Trend zum „Stadtwohnen“. Dies setze vor allem in gefragten Gegenden einen Gentrifizierungsprozess in Gang, das heißt durch Erneuerungsmaßnahmen und Eigentümerwechsel etablieren sich einkommensstarke Haushalte, während einkommensschwache Menschen sich die Viertel nicht mehr leisten können und verdrängt werden. In diesem Kontext bewertet er das Projekt von nestbau äußerst positiv.
Hier seien Stadtplaner und -entwickler, aber auch die Bewohner selbst gefragt. In Tübingen macht Kuhn gelungene Ansätze für eine Durchmischung aus. Beispielsweise im Entwicklungsgebiet Stuttgarter Straße, das in dieser Hinsicht bedeutender sei als das Loretto-, Französische oder Mühlenviertel. Auch beim Großprojekt der Hafencity Hamburg werde mittlerweile auf eine soziale Durchmischung geachtet. Diese werde gesteuert indem seit einem Jahr 30 Prozent der Flächen entweder an Baugemeinschaften gingen oder öffentlich gefördert würden. Denkbar sei eine Steuerung der Durchmischung etwa durch Festpreise bei der Vergabe von Baugrund. Mit diesen Maßnahmen lässt sich die Pluralität der Stadtbevölkerung sichern und „No-Go-Gebieten“ wie in Frankreich oder den Niederlanden vorbeugen – „wer so etwas hier nicht will, muss handeln“, so der eindringliche Appell Kuhns.