Die nestbau AG ist wieder gemeinwohlbilanziert!
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Bereits seit 2018 ist die nestbau AG Mitglied der Gemeinwohl-Ökonomie und erstellt eine Gemeinwohl-Bilanz. Wir zeigen damit, dass der Zweck des Wirtschaften mehr ist und mehr sein muss, als die Mehrung finanzieller Mittel. Wir sind überzeugt, dass sich eine zukunftsfähige Wirtschaft an realen Bedürfnissen orientieren und letztlich ein "gutes Leben für alle" ermöglichen muss.
Was ist eigentlich der Zweck des Wirtschaftens?
Die Gemeinwohl-Ökonomie ist eine zivilgesellschaftliche Bewegung und wurde 2010 von Christian Felber in Wien initiiert. Im seinem gleichnahmigen Buch beschreibt er die Vision einer Gemeinwohl-Ökonomie. Diese setzt bei der Frage nach dem Zweck des Wirtschaftens an. Felber zeigt, dass Wirtschaften zum Zwecke der Geldvermehrung keineswegs selbstverständlich ist. Bereits Aristoteles unterschied zwischen oikonomia der (Haus)wirtschaft (oikos = altgr. Haus), mit dem Ziel des gutes Lebens für alle (relevanten) Haushaltsmitglieder und chrematistiké der Kunst des Gelderwerbs. Letztere hielt er für schädlich. Auch in fast allen modernen Verfassungen finden sich Passagen, die eine Gemeinwohlverpflichtung wirtschaftlicher Aktivität festschreiben. Besonders deutlich ist hier die bayrische Verfassung:
„Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl, insbesondere der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltung aller Volksschichten.“ - Bayerische Verfassung (Art. 151 Abs. 1)
Letzlich ist das Ziel der Gemeinwohl-Ökonomie eine Ausrichtung des Wirtschaftssystem an unseren verfassungsgemäßen Grundwerten. Vereinfacht ausgedrückt: Es geht um eine demokratiekonforme Wirtschaft im Gegensatz zur "marktkonformen Demokratie".
Wirtschaftliche Erfolgsmessung und die Frage, was wirklich zählt
Die heute weit verbreitete Auffassung von gutem Wirtschaften als Gewinn- oder Renditemaximierung verwechselt eines der wichtigsten Mittel moderner Wirtschaftstätigkeit (Geld) mit deren Zweck (Befriedigung menschlicher Bedürfnisse). Geld ist in unserer Gesellschaft ein sehr mächtiges Instrument. Es kann damit sowohl für sehr wichtige und gute, als auch für furchtbare Dinge eingesetzt werden. Wird Geld zum Selbstzweck, ist seine Wirkung nicht selten zerstörerisch. Häufig ist diese Zerstörung nicht unmittelbar erlebbar, sondern spielt sich auf der anderen Seite der Erde, in den Urwäldern und Meeren oder in einer anderen Gesellschaftsschicht ab, so dass die Verursacher:innen seltenst direkt mit den Folgen ihres Handelns konfrontiert sind.
Ein hoher Gewinn sagt nichts darüber aus, wie er zu Stande kam und wofür er eingesetzt wird. Wurden dabei reale Bedürfnisse befriedigt oder mit exzessiver Werbung "Bedürfnisse" erst erzeugt und Massenkonsum befördert? Wurden im Produktionsprozess Mensch und Natur ausgebeutet? Fließt der Gewinn zurück ins Unternehmen? Werden die Mitarbeitenden am Gewinn beteiligt oder schöpfen einige wenige Eigentümer:innen oder Kapitalinvestor:innen den Gewinn ab? Werden aus Überschüssen soziale Projekte gefördert? Und wie transparent agiert eigentlich das Unternehmen?
Dies sind für die Lebensqualität in einer Gesellschaft alles hochrelevante Fragen, nichtsdestotrotz wird häufig allein aufgrund eines hohen Gewinns von "erfolgreichen Unternehmen" gesprochen. Dies spiegelt die Ausrichtung auf Geldvermehrung wieder, nicht aber die in der Verfassung verankerte Idee des Gemeinwohls. Um unternehmerischen Erfolg tatsächlich zu messen, muss der längst gesetzlich vorgeschriebenen Finanzbilanz eine Wertebilanz hinzugefügt werden. Nur in Kombination von beidem kann tatsächlich bewertet werden, ob ein Unternehmen als erfolgreich gelten kann oder nicht.
Diese Lücke schließt die Gemeinwohl-Bilanz. Sie besteht aus einer Matrix, welche die Werte der Gemeinwohl-Ökonomie, nämlich Menschenwürde, Solidarität & Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Transparenz & Mitbestimmung, mit den Berührungsgruppen einer Organisation verknüpft. Hierdurch entstehen 20 Matrixfelder, welche systematisch fragen, wie die Organisation die verschiedenen Werte gegenüber ihren Berührungsgruppen lebt. Auf diese Weise zeigt die Gemeinwohl-Bilanz z.B. ob ökologisches Verhalten der Mitarbeitenden unterstützt oder behindert wird, inwiefern sich die Organisation für menschenwürdige Arbeitsbedingungen in der Lieferkette einsetzt, wie hierarchisch das Unternehmen strukturiert ist und ob wichtige Daten transparent sind.
Gemeinwohl-Bilanz - Aufzeigen struktureller Probleme und die kooperative Suche nach Lösungen
Für jedes Matrixfeld gibt es sogenannte Bewertungsstufen, welche mit einer Punktzahl hinterlegt sind. Insgesamt könnte eine Organisation maximal 1.000 Punkte erreichen, es gibt jedoch auch bis zu 3.600 Minuspunkten z.B. für die Missachtung gesetzlicher Vorschriften, Praktikten von Steuervermeidung und Ausnutzung von Marktmacht. Dies führt dazu, dass viele große Unternehmen wahrscheinlich sogar eine negative Gesamtpunktzahl hätten, müssten sie eine Gemeinwohl-Bilanz erstellen.
Die Gemeinwohl-Bilanz macht auch strukturelle Probleme unseres Wirtschaftssystem sichtbar und nimmt die Unternehmen dafür in die Verantwortung. Dies träfe Unternehmen besonders hart, die in ihrer Firmenpolitik bewusst Gewinn vor gesellschaftliche Verantwortung stellen, aber auch Unternehmen, die sich für Gemeinwohl einsetzen, sind davon betroffen, wenn sie in einer Branche agieren, in der problematische Zustände üblich sind. Dies kann bedeuten, dass ein Unternehmen z.B. sehr viel tut, um seine Lieferkette menschenwürdiger und ökologischer zu gestalten, jedoch trotzdem nicht sehr hoch bewertet wird, weil es die benötigene Vorprodukte bisher schlicht nicht ökologisch und fair gibt. Dies ist z.B. bei Elektronik überwiegend der Fall. Zum Teil trifft dies auch auf die Baubranche zu, in der es zwar mehr und mehr ökologische Alternativen gibt, die ökologischen Auswirkungen von Gebäuden aber dennoch meist weit über dem liegen, was ökologisch geboten wäre. Ebenso werden häufig Rohstoffe verwendet, deren Lieferketten intransparent sind, wodurch das Ausschließen unwürdiger Arbeitsbedingungen sehr schwierig ist. Eine Unternehmensberatung wird sich in diesem Bereich zum Beispiel deutlich leichter tun. Dies mag auf den ersten Blick unfair erscheinen, ist jedoch aus politischer Sicht richtig, da es letztlich um die Verbesserung der Zustände geht und nicht um einen Punktewettbewerb zwischen den gemeinwohlbilanzierten Unternehmen. Eine Gemeinwohl-Bilanz kann also auch eine Methode sein, um transparent zu machen, dass das Unternehmen bisher keinen Weg gefunden hat, wünschenwerte Zustände in der Lieferkette sicherzustellen. Im Idealfall kann damit Druck auf die Politik ausgeübt werden und es können sich Stakeholder mit Lösungsvorschlägen an das Unternehmen richten. Die Gemeinwohl-Ökonomie möchte auch eine Zurückdrängung des Wettbewerbs und eine Renaissance des kooperativen Wirtschaftens. In diesem Sinne gilt für die GWÖ-Bilanz dasselbe wie für Geld in der Wirtschaft allgemein. Sie ist nur ein Instrument, das versucht gemeinwohlorientiertes Handeln zu ermöglichen und kein Selbstzweck.
Eine Gemeinwohl-Bilanz sollte daher keinesfalls auf die bloße Punktzahl reduziert werden: Es geht nicht darum die höchste Punktzahl zu erreichen, sondern um das kooperative Suchen nach Lösungen für gesellschaftliche Probleme.
Die Gemeinwohl-Bilanz der nestbau AG
Die nestbau AG war und ist seit ihrer Gründung immer auch ein gesellschaftspolitisches Projekt. Der Gründungsimpuls bestand darin, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und gleichzeitig eine umfassend ethische und transparente Geldanlage anzubieten. Die Gemeinwohl-Bilanz hat der nestbau AG ein Werkzeug in die Hand gegeben, mit der sie ihre Werthaltung systematisch prüfen und transparent kommunizieren kann. Gleichzeitig gibt der Bilanzierungsprozess immer wieder Impulse für eine Weiterentwicklung des Unternehmens: Durch die Gemeinwohl-Bilanz 2018 wurde beispielsweise die systematische Beschäftigung mit ökologischen Baustoffen angestoßen. Die Analyse der Lieferkette zeigte uns, dass hier ein potenziell großer Hebel für ökologische Verbesserungen liegt. Auf der Ebene der Mitarbeitenden hat die aktuelle Gemeinwohl-Bilanz die Themen Mitbestimmung und kollegiale Führung auf die Agenda gesetzt. Auch wenn wir uns letztlich gegen ein kollegial geführtes Unternehmen entschieden haben, waren dies wichtige Prozesse für die Weiterentwicklung des Unternehmens.
Mit 540 Punkten haben wir wieder eine überdurchschnittlich hohe Bewertung erhalten. Wir freuen uns über diese Wertschätzung! Die nestbau AG wird weiter wo immer möglich gemeinwohlorientiert wirtschaften, sowie die Bewegung der Gemeinwohl-Ökonomie in ihrem Engagement für ein nachhaltiges und soziales Wirtschaftssystem unterstützen.
Downloads
GWÖ-Bilanz-2022-2023 GWÖ-Testat-2022-2023Quellen:
Felber Christian (2018), Gemeinwohl-Ökonomie, Piper Verlag
FAZ Artikel zur ökonomischen Lehre von Aristoteles (kostenlos, Registrierung erforderlich)