Bilanz der „Wohnraumoffensive“ – eher Defensive als Aufbruch
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Die gestern im Livestream öffentlich verfolgbare Bilanz zur Wohnraumoffensive zeigt einmal mehr, dass die Frage nach dem Erfolg nicht nur von der Umtriebigkeit der Entscheider abhängt, sondern auch sehr stark davon, welche Ziele man setzt und welche Zahlen man heranzieht, um die Zielerreichung zu messen. Ganz im Zeichen des Wahljahres fallen die Beurteilungen der Zwischenbilanz sehr unterschiedlich aus.
In den ersten Gesprächsbeiträgen sind sich Host Seehofer, Angela Merkel und Olaf Scholz einig, dass man Gutes erreicht hat. Seehofer behauptet gar, alle Vorhaben wären bereits umgesetzt oder zumindest in der Mache und bezieht sich hier auf die Broschüre zur Umsetzung der Wohnraumoffensive. Besonders das Baukindergeld wird als großer Erfolg hervorgehoben, da sich laut Seehofer das Durchschnittseinkommen der Antragsteller um die 45.000€ bewegt und damit genau die Zielgruppe trifft, die sich ohne Förderung kein Eigenheim leisten könnte. Auch eine zweimalig Anpassung des Wohngeldes in nur einer Legislaturperiode sei ein bisher nicht vorgekommenes Entgegenkommen für die Mieter. Wir finden, dass das zwar durchaus positiv anzumerken ist, sicherlich aber auch in der drastischen Verschärfung der Mietpreise begründet liegt.
Olaf Scholz betont, dass man „weiter Tempo machen“ müsse, besonders im Gebiet der Sozialwohnungen – immerhin hätten 50% aller Haushalte in Deutschland ein Recht auf einen Wohnungsberechtigungsschein und Wohnen sei „DIE soziale Frage unserer Zeit“. Das sehen wir als nestbau AG auch schon lange so – bereits seit Herbst 2019 titeln wir unsere redaktionellen Anzeigen so. Olaf Scholz zeigt die neue Priorisierung der Wohnfrage, indem er die Grundgesetzänderung herausstellt, die nötig war, um Wohnpolitik auf Bundesebene anzusiedelt. Zudem betont er die Änderungen im Mietrecht, die essentiell sind, wenn so viele Menschen in Miete leben.
Auch Angela Merkel zeigt sich zufrieden. Sie verweist auf die Faktenblätter zum Umsetzungsstand, lobt die Baubranche als Konjunkturträger und rattert durch die bereits genannten Erfolge. Frau Merkel spricht von einer „Sanierungswelle“ im Bestand, die auf Fördermittel zur ökologischen Sanierung zurückgehe. In ihrer Rede kommt auch die Bundeskanzlerin auf Bezahlbarkeit von Wohnraum zu sprechen und geht auf die Mietpreisbremse als ein für die CDU nicht selbstverständliches, aber nötiges Instrument ein. Wohngeldreform und Anpassung des Mietspiegels sieht sie als relevante Bausteine für bezahlbaren Wohnraum.
Einzig Michael Müller, regierender Bürgermeister in Berlin und Vorsitzender der Ministerpräsidenten-Konferenz stellt die „großen Erfolge“ in einen anderen Kontext. Nachdem der Konsens bisher „Bauen, bauen, bauen!“ lautete, relativiert er: „Bauen dauert.“ Zudem lenkt der regierende Bürgermeister die Aufmerksamkeit auf zwei hochrelevante Problemstellungen: Zum einen fallen durch die Umwandlung in Eigentumswohnungen schneller Mietwohnungen weg, als nachgebaut werden können. Zum anderen bezieht sich die von Horst Seehofer so gepriesene Zahl der 1,2 Millionen neuen Wohnungen auf Wohnraum aller Art – es braucht aber konkret Sozialwohnungen. Hier gibt es unumstritten deutlichen Nachholbedarf.
Im Verlauf der Veranstaltung wird Horst Seehofer allerdings aus verschiedenen Richtungen für seine Erfolgsmeldungen zum Teil scharf kritisiert. Lukas Siebenkotten, Präsident des Mieterbundes, fragt, ob man auf einer Baugenehmigung schlafen könne und macht klar, dass die bisher genannte Zahl der 1,2 Millionen geschaffener Wohnungen auch Wohnungen im Bau oder gar nur mit Baugenehmigung mitzählt. Das nennt er freundlich „schlitzohrig“ und stellt klar, dass die Planung der 100.000 Sozialwohnungen in 5 Jahren drastisch am Bedarf vorbeigeht. Der Beschluss hätte 100.000 neue Sozialwohnungen pro Jahr lauten sollen. Caren Lay, Fraktion DIE LINKE, zeigt auf, dass auf Grund der 350.000 – 400.000 Wohnungen, die jährlich aus der Sozialbindung fallen, am Ende der Legislaturperiode trotz Bauoffensive weniger Sozialwohnungen zur Verfügung stehen werden als zu Beginn.
Auch FDP und Bündnis 90 die Grünen zeigen sich verhalten bis enttäuscht in Bezug auf die Zwischenbilanz und sehen die Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft. Der Grünen-Vertreter Chris Kühn geht sogar soweit, ein eigenes Bauministerium zu fordern.
Auch wenn andere wichtige Themen wie das Baulandmobilisierungsgesetz, die Frage nach klimaverträglichem Bauen und Ausbau im Bestand der Innenstädte und Ortskerne immer wieder aufkamen, kreiste die Debatte doch immer wieder um die viel zu niedrig gesetzten Ziele der Bauoffensive, die fragwürdige Zählweise des Bundesinnenministers und den akuten Mangel an Sozialwohnungen. In unseren Augen zurecht, denn wie im Schlusswort Volkmar Vogel festhält: ausreichende Versorgung mit lebenswertem Wohnraum ist Voraussetzung für die Sicherung des sozialen Friedens.